1550 Worte: / Min. Lesezeit. Ein spannender Roman wird Anlass die Methode des Omegakurses als historisch-narrative, kontextuelle Theologiebildung zu beschreiben. Theologie eben nicht als System und abstrakt-philosophische Denkgebäude, sondern als komplexe, vielschichtige und mehrdeutige Erzählung einer Erzählgemeinschaft. Steig ein in eine neue Haltung mit uns im Omegakurs.
Andrew Perriman hat mithilfe der vielen Blogposts seine Methode immer wieder umschrieben und vor allem sich von den üblichen „Abstraktionen“ der Systematischen Theologien (wie z.B. die großen Theologien des 20. Jahrhunderts von Karl Barth, Wolfhart Pannenberg, Jürgen Moltmann) nicht von der Grundidee abbringen zu lassen: Alles ist eine in einem speziellen Umfeld geborene Geschichte. Menschen sind eben „Erzählende Affen“ und können nicht Wirklichkeit erfassen, ohne Geschichten zu erzählen. So ist auch das monumentale Werk eines Karl Barths in einem Kontext geboren: Er war ein Schweizer, der Anfang des 20. Jh. zum Ende des 1. Weltkriegs aus der „unschuldigen“ und „sicheren“ Schweiz auf das Chaos blickt, das die Fortschrittsversprechen des Kulturprotestantismus des 19. Jahrhunderts über den Haufen warf.
Das evangelisch christliche Deutschland greift das katholische Frankreich als Erbfeind an und opfert seine Jugend und Ressourcen auf einem sinnlosen Gemetzel industrialisierter Kriegsführung.
Da musste eine neue Lesart von Christentum her, die der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts und ihren offensichtlich blinden Flecken Widerstand leistete. Barth brachte diese Wende mit seinem Römerbriefkommentar ins Spiel. Seine Lesart wurde dann prägend bis in die 80er-Jahre der Theologiegeschichte. Mit dem Kulturkampf der 68er-Bewegung kam dann die neue prägende Epoche der sogenannten „empirischen Wende“ in die Theologie, also die interdisziplinären Perspektiven auf den Menschen, den Sozialraum und die Politik mit den entsprechenden Fachwissenschaften (Psychologie, Soziologie, Systemtheorie, Kultur- und Politikwissenschaften usw.).
Alle Theologie ist bis heute immer eine Erzählung, die auf die Geschichten der Umgebung reagiert. Was wird in der Gesellschaft erzählt? Wie passen wir als Christen daraufhin unsere Erzählungen an? Wenn wir erst einmal akzeptiert haben, dass dies immer wieder passiert und passieren muss, dann befreit uns diese „narrative“ Logik des erzählenden Affen von der Illusion, es gäbe eine für immer gültige feststehende Erzählung, die die Wahrheit verkündigen könnte.
Reich Gottes aus der Sicht des Post-Christen Emmanuel Carrère
Vor kurzem las ich den Bestseller „Das Reich Gottes“1 des französischen Schriftstellers Emmanuel Carrère, geboren 1957 in Paris, Drehbuchschreiber Filmproduzent. Er veröffentlichte mehrere Romane. Carrère ist der Sohn von Louis Carrère und der französischen Historikerin Hélène Carrère d’Encausse. Die Cousine seiner Mutter ist die französisch-georgische Politikerin und frühere Außenministerin Georgiens Salome Surabischwili. Carrère hat seit den frühen 1980er Jahren rund ein Dutzend Bücher geschrieben, die zum Teil preisgekrönt wurden. Ferner war er Drehbuchautor und Produzent einer Reihe von Filmen für Kino und Fernsehen.
Klappentext zum Buch:
Aus dem Französischen von Claudia Hamm. Welches Verhältnis unterhält das Abendland zu seiner eigenen Religion? Emmanuel Carrère stellt sich die Gretchenfrage. Er vertieft sich in die Anfänge des Christentums, fragt nach der Kraft, mit der es gelingt, an Dinge zu glauben, gegen die der Verstand rebelliert, und seine revolutionäre Ethik zu vertreten, die den Schwachen zum Starken erklärt. Mal ironisch, mal mit dringlichem Ernst zeichnet Carrère das Fresko einer antiken Welt, die in vielen Zügen unserer heutigen ähnelt. Zwei Lebenskrisen stellen Emmanuel Carrère vor die Frage, wie Menschen an Dinge glauben können, die dem Verstand entgegenstehen. Er begibt sich auf die Fährte des Revolutionärs Paulus und des Intellektuellen Lukas, zwei prägenden Gestalten des Christentums. Carrère zeichnet das Bild einer Welt, die vom Pragmatismus des Römischen Reiches beherrscht ist und doch durchdrungen vom Wunsch nach tieferem Sinn und Gemeinschaft.
Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.03.2016
Rezensent Alex Rühle hat Emmanuel Carreres neues Buch „Das Reich Gottes“ einigermaßen überrascht aufgenommen: Zum einen, weil er den französischen Schriftsteller bisher vor allem als Verfasser herausragender Biografien kannte, zum anderen weil hier ein erklärter Agnostiker über das frühe Christentum schreibt und dann noch einen Bestseller in Frankreich landet. Das allerdings wundert den Kritiker wenig, denn Carrere geling es ausgezeichnet, seine detailreiche Textexegese der Apostelgeschichte und des Lukasevangeliums mit eigenen, von metaphysischer Sehnsucht geprägten Tagebucheinträgen aus den Neunzigern und seinen sehr bescheidenen Vermutungen zu verknüpfen – ganz ohne bekehren zu wollen oder das Erzählte „hollywoodesk realistisch“ aufzublasen, lobt der Rezensent. Und dann liefert der Autor in seiner Geschichte über Lukas und Paulus auch noch wunderbare Porträts von Nero, Vespasian oder Seneca und schreibt mit soviel Humor, dass Rühle dieses Buch nur unbedingt empfehlen kann.
Ich schließe mich dieser Empfehlung unbedingt an. Und meine, dass dieser Roman, der als Sachbuch verkleidet, die Entstehung des Christentums plausibel und menschlich macht, Modell für unseren Omegakurs werden könnte.
Omegakurs: Finde dein Narrativ heraus
Die Übersetzerin Claudia Hamm bringt auf den Punkt, wieso dieser Schreibstil oder diese Denkhaltung so eindrücklich ist. Carrier schreibt:
»Ich glaube nicht an die faktische Realität. Ich glaube, all das muss durch ein Bewusstsein, durch einen Erzähler gehen. Und die geeignetste Person dafür bin ich selbst. Ich übernehme die Verantwortung für den subjektiven Aspekt daran. Ich erzähle durch meine Brille, mit meinen Standpunkten, meinen Vorurteilen, meinen Scheuklappen. Die autobiografische Perspektive ist kein literarisches Verfahren, sondern eine innere Einstellung. Seit „Der Widersacher“ habe ich das Bedürfnis, meinen eigenen Standpunkt deutlich zu machen. Was ist mein Bezug zur Geschichte, die ich erzähle, und warum erzähle ich sie überhaupt? » (S. 518)
Sie schlüsselt danach auf, was hier mit der Perspektive des ICH-Erzählers an sprachlichen und kommunikativen Effekten ausgelöst wird:
Die autobiografische Perspektive erklärt Carrère zur Herzensangelegenheit, die erste Person ist nicht einfach eine mögliche unter anderen. Sie verspricht, die Haltung zum Erzählten wie unter einem Brennglas deutlich zu machen. Der Eigenname funktioniert dabei wie eine Unterschrift, mit der Verantwortung für das Gesagte suggeriert wird. Philippe Lejeune nennt es den »autobiografischen Pakt«, den Autor, Erzähler und Leser bei dieser Textsorte implizit schließen, autobiografisches Erzählen sei dabei eine bestimmte Art von Sprechakt: Der Erzähler berichtet im Namen des Autors, was der Autor denkt und tut. Schenkt der Leser ihm deshalb Glauben? Genau das ist mit diesem Pakt nicht garantiert;
einer, der sich auskennt, kann es auch so sehen:
»Carrère erzählt alles, als sei es genau so gewesen, als reine Zeugenschaft, aus erster Hand. Er berichtet von der Recherche, er inszeniert die Suche nach dem Stoff und den Versuch, diesen zu beherrschen. Stimmt das alles? War das so? Ich glaube einem Autor gar nichts, besonders dann nicht, wenn er (wie Carrères Erzähler) behauptet, alles sei so gewesen. Trotzdem, hier wird so gut erzählt, dass ich mich ungeheuer für die Geschichte interessiere. Und für Carrères Interesse an diesem anderen Leben«, schreibt David Wagner im Merkur 03/2012 über Alles ist wahr. (S. 519)
Omegaprozess als autobiografische Erzählung?
Was wäre, wenn ich (wie es Perriman in seinem Blog durchweg tut) in meine Auseinandersetzung mit den heiligen Ursprungstexten immer auch meine heutigen Zweifel (aufgrund meiner aktuellen Perspektive, die geprägt ist durch zahllose postmoderne Narrative) einflechte, die Such- und Finde-Umstände berichte und die Zufälle und Menschen, die mir begegneten mit unterbringe, während ich beständig nach Antworten suche, die ich dann kurz darauf schon wieder hinterfrage… Also: Theologie als ständiger biografisch eingefärbter Prozess, sich abzuarbeiten an den großen Erzählungen: sei es die mithilfe der Reformation der Erzählung über die Entstehung der Menschheit oder an den Texten einer untergegangenen Antike, die zum Maßstab geworden sind, wie Carrère verwundert festhält, weil er die Entwicklungssprünge in der Kirchengeschichte als Phasen der Reifung und des Erwachsenwerdens des Christentums versteht:
Was mich am meisten erstaunt, ist nicht, dass sich die Kirche derart weit von ihrem Ursprung entfernt hat, sondern, im Gegenteil, dass sie nach wie vor die Treue zu diesem Ursprung zu ihrem Ideal erklärt, selbst wenn sie es nicht schafft, treu zu bleiben.
Niemals wurde vergessen, was am Anfang stand. Niemals hat man die Überlegenheit dieser ersten Zeit angezweifelt und stets versucht, zu ihr zurückzukehren, als sei dort die Wahrheit zu finden, als sei das, was von dem Kleinkind noch vorhanden ist, der beste Teil des Erwachsenen. Im Gegensatz zu den Juden, die die Vollendung in die Zukunft projizieren, und im Gegensatz zu Paulus, der, in dieser Hinsicht sehr jüdisch, sich wenig um Jesus sorgte und nur an das organische, kontinuierliche Wachstum seiner kleinen Kirche dachte, die sich die ganze Welt einverleiben sollte, verortet die Christenheit ihr goldenes Zeitalter in der Vergangenheit. Wie ihre heftigsten Kritiker glaubt sie, ihre Zeit der absoluten Wahrheit, nach der die Dinge nur noch auf der Strecke bleiben konnten, seien jene zwei oder drei Jahre gewesen, als Jesus in Galiläa predigte und dann in Jerusalem starb, und nach ihrem eigenen Bekunden ist die Kirche nur dann lebendig, wenn sie sich dieser Zeit annähert. (S. 5)
Und an dieser Stelle wird deutlich, wie Perriman sich mit seiner historisch-narrativen Sicht als „apokalyptischer“ (einige würde lieber „eschatologischer“ sagen) Theologe positioniert, wenn er auffordert: Theologie muss von der Zukunft her erzählt werden. So wie die jüdisch-apokalyptischen Zeugen der Antike auf ihre gemeinsam erwartete Zukunft hin alles konfigurieren (ihre existenzielle Lebensführung, die innovative interkulturelle Gruppenbildung als „Kirchen“ und das Evangelium als Erzählung einer zu erwartenden Zukunft), müssen wir unsere Theologien nicht in Richtung Vergangenheit konfigurieren (Was ist ein für alle Mal passiert? Das ist Gründungsmythos…), sondern als aktuelle, prophetisch konfigurierte Ansage, die unser spätmodernes Heute prägt.
Dazu hilft heute sicher auch der Dialog mit der Zukunftsforschung, Zukunftsphilosophien und anderen (spirituellen) Bewegungen, die sich zukünftig orientieren. So war die Apokalyptik auch eine Denkrichtung ihrer Zeit, die über Israel hinaus anschlussfähig antike (spirituelle) Welt- und Machtvorstellungen und Imperiumskonzepte verdichtete.
Die Kirche ist von der Karte, die ihren Platz in der Welt so lange bestimmt hat, und wir kämpfen darum, uns zurechtzufinden. Wir müssen Navigationsfähigkeiten neu erlernen, die das Volk Gottes schon sehr lange nicht mehr gebraucht hat.
Die Geschichte drängt weiter und weigert sich, durch apokalyptische Schemata eingeschränkt zu werden, und wir haben keine andere Wahl, als die Geschichte weiter zu erzählen, nicht nur so, wie sie passiert, sondern auch mit einem prophetischen Auge auf die aufkommende Zukunft. Es scheint mir, dass in biblischer Hinsicht prophetisches Geschichtenerzählen das notwendige Mittel ist, mit dem wir die existenzielle Krise des Zusammenbruchs der Christenheit und der gefährlichen Marginalisierung der Kirche verhandeln. (Perriman)
Durch unseren Impuls im Omegakurs 2024 wird jede:r ermutigt, seine/ihre eigene autobiografisch sinnvolle geistliche Weltanschauung bewusster und mutiger weiterzuentwickeln.
Bist du dabei? Melde dich telefonisch bei mir an: 05261-934466
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