Von Helden und fossilen Märchen. Wir brauchen neue Narrative

Treibhauspost 19.12. 23 #59 #Klimakommunikation #Storytelling #Essay

„Die Geschichten, die wir uns erzählen, scheitern am #Klima. In Kino und Literatur findet die Krise kaum statt, und der öffentliche Diskurs strotzt vor Märchen. Es wird Zeit für neue Erzählungen.“ Schreibt Manuel Kronenberg in der Weihnachtstreibhauspost #59, Dez. 2023. Und wie recht er hat, wirst du in der folgenden Kurzfassung herausfinden. Derselbe erzählerische Move gilt auch für das christliche Narrativ. Wie? Ja. Wir sollten einiges neu erfinden, die alte Storyline braucht neue Logikenpostheroischepostkoloniale und postindividualistische und dann neue Erzählstrukturen.

Warum überhaupt über Geschichten reden? Weil sie eine unwahrscheinliche Kraft auf uns haben. Wir identifizieren uns mit den Akteur*innen, fiebern mit, werden wütend, werden traurig und lernen dazu. Es gibt aber einen großen Haken.Unsere historisch gewachsenen Erzählstrukturen machen es quasi unmöglich, die Klimakrise in adäquate Geschichten zu packen. Oder wie viele Klima-Blockbuster kennst du? Geschichten, die wirklich von der Krise und ihrer Lösung erzählen? Sie sind noch immer eine krasse Nische.Manuel Kronenberg,#59 Treibhauspost

Unsere heutigen Erzählungen orientieren sich an einigen wenigen Strukturen. Das Muster der „Heldenreise“ etwa findet man (seit Hollywood es zum Standard machte) überall. Gutes Drama funktioniert nach Schema. Und gewisse Erzählungen verfangen darum besonders gut. Es ist vielleicht auch an der Zeit selbstkritisch die christlichen Narrative, die wir gerne bedienen, zu hinterfragen. Das Schlüsselnarrativ ist das „Wort vom Kreuz“. Ist es nicht auch eine Heldenreise mit dem Meister Jesus und seinen Gefährten (alle männlich).

Nach einer wunderhaften Geburt, einer göttlichen Berufung mit Donner und Rauch bei dem Unheilsprofeten Johannes. Berufen, getauft und aus dem normalen Nazarener wird der Messias. Zuerst kommt er groß raus, wird vom Volk mehr und mehr bejubelt, wobei die Energie seiner Gegner (männliche Schriftgelehrte und Pharisäer) dadurch so angestachelt wird, dass sie den Beschluss fassen, ihn zu töten. Verrat, Verleumdung und Trägheit sind die Fallen der Gefährten und so kommt es zum Höhepunkt. Die grausame imperiale Macht (nach einem kurzen Zögern, „ich finde nichts böses an ihm!“) unter den Schreien der aufgeputschten Massen „kreuzige ihn!“ schreitet zur unvermeidlichen Tat. Grausame Folter am Kreuz (im Mittelalter und durch Mel Gibson in „the passion“ wurde es heroisch-ikonisch aufgeladen zum „Schmerzensmann“), heldenhaft die Reaktion des Gerechten: „Vater vergib ihnen…“ Nach kurzem betroffenen Schweigen dann die überwältigende Auferweckung und die Frohbotschaft: „Ich komme bald wieder und räche mich an meinen Feinden und werde eure Welt zum Paradies verwandeln“.

Die Struktur ist eingängig „heldenreisenkonform“, eine Zentralgestalt. Gefährten mit unterschiedlichen Profilen und Versuchungen. Ein Lernweg (mit weisheitlichen Elementen, Gleichnissen, Wundern, Widerständen). Dann das tragische Ende und die wunderbare Wende. Problematisch bleibt, dass dieses Modell indivdualistisch verkürzt erzählt wird. Wie wir bei nuPerspective betonen geht die Story anders, ist politischer und eine Story eines Volkes und seines Schicksals.

Die Autorin Mary Annaïse Heglar (Öffnet in neuem Fenster) schreibt, dass wir – um eine neue Welt zu errichten – sie uns zuerst ausmalen müssen. Wir brauchen Utopien, die uns zum Handeln motivieren.Manuel Kronenberg, Treibhauspost #59 Longversion

Die Klimakrise aber lässt sich nicht so leicht in diese Schemata pressen

„Eine ökologische Krise, die sich in Zeitlupe entfaltet und sich durch alle Aspekte unseres Zusammenlebens zieht, ist schwierig in gewohnter Blockbuster-Manier auf die Leinwand zu bringen. Unsere narrativen Gewohnheiten suggerieren, dass die Welt nur durch starke Individuen gerettet werden kann, mit besonderen, meist männlich konnotierten Fähigkeiten. Und sie lassen uns glauben, dass es eine große, klare Auflösung geben muss, ein Happy End à la Hollywood.

Beide Vorstellungen (Held und Happy End) gehen komplett daran vorbei, wie Wandel wirklich funktioniert. Es gibt nicht die eine große Lösung in der Klimakrise, sondern viele kleine, die wir Schritt für Schritt umsetzen müssen. Und auch dann geht es nur ums Eindämmen der Krise.

Die Klimakrise lässt sich natürlich auch nicht alleine lösen, schon gar nicht von einzelnen, „starken“ Helden. Wir brauchen kollektives Handeln, Solidarität, Strategie und Geduld. Wandel ist alles andere als eine Heldenreise, wie wir sie aus Geschichten kennen.“

Wandel gleicht eher einem Staffellauf. Ein Unterfangen mit vielen vernetzten Protagonist*innen. Die einen führen weiter, was andere begonnen haben.@RebeccaSolnit

Wie sähen unsere christlichen Narrative (Predigten) aus, wenn wir die Botschaft vom Kreuz kommunitär, solidarisch und postkolonial framen? Im Augenblick gerne genommen sind noch Heldinnen wie Greta und Luise Neubauer (siehe die ausführliche Treibhauspost). Aber mir leuchtet der Vorschlag von Manuel Kronenberg dort sehr ein, neue Erzählstrukturen zu fordern und zu finden, da das Modell der Heldenreise eher die FakeNews oder Klimamärchen befeuert. Und das Tragische. Unsere christliche Erzählung wird auch gerne im Rahmen des Christentum-Paradigmas mythisch missbraucht, indem auf den „endlich bald kommenden weißen Retter Jesus“ verwiesen wird, der den Kriegen und Klimakatastrophen ein plötzliches und garantiertes Ende bereiten wird.

Wir brauchen einen anderen messianischen Prozess

„Wir brauchen viele kleine Lösungen, die wir Schritt für Schritt umsetzen. Und selbst dann geht es lediglich ums Eindämmen der Krise – die Erhitzung abstellen und komplett zurückdrehen wird leider nicht mehr klappen. Null Grad und wir kehren fröhlich zurück ins Auenland: ein ziemlich gefährliches Märchen.

Die Klimakrise lässt sich natürlich auch nicht alleine lösen, schon gar nicht von einem starken, „männlichen“ Helden. Wir brauchen kollektives Handeln, Solidarität, Strategie, Geduld – kein Jagen und Draufhauen, keinen großen Knall.“

Vielleicht müsste der Messias in der heutigen Zeit seinen Auftritt, seine Methoden und seine Botschaft radikal überdenken und transformieren, damit der Krise begegnet werden kann. Sicher muss er das. Elemente davon sind in unserem neuen Testament angelegt, wenn im Lobgesang der Maria die politische Not und Erlösunghoffnung des Volkes Thema wird.

Er stößt die Gewaltigen vom Thron

und erhebt die Niedrigen.

Die Hungrigen füllt er mit Gütern

und lässt die Reichen leer ausgehen.

Er gedenkt der Barmherzigkeit

und hilft seinem Diener Israel auf,

wie er geredet hat zu unsern Vätern,

Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.Luk 1, 52-55

Und zugleich bleibt das Narrativ der „einen großen Retterperson“ verhaftet. So gibt es Weiterentwicklungen der Messiasidee in jüdischen Traditionen, die statt auf „den Messias“ auf den messianischen Prozess“ warten.

Als Versammlung der Glaubenden und als Körper des Messias kann sich Kirche neu als das messianische Projekt Gottes begreifen, das mit allen Hoffnungn der gesamten Menschheit verbinden ist. (S.212)Frank Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, Die neue Sicht der christlichen Bibel, 2. Aufl. 2015

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Ich halte als Zwischenergebnis fest. Das künftige Evangelium im Trans-Christentum braucht eine völlig neue Erzählstruktur, zumindest andere als die der klassischen Heldenreise. Die stammt aus einer vormodernen Zeit, ist fundiert im Odysseus-Mythos des heroischen Kampfes und oft auch dem der kolonialen Idee der erlösenden Gewalt“ (Walter Wink), die die politisch-realistische komplexe Wirkliche der Postmoderne mit unseren demokratischen Idealen (im Kampf gegen die mächtigen, weißen Männer, wie Chefs von Exxon oder trumpistischen Antagonisten) in Resonanz kommen. Ein schönes Beispiel ist das Bild vom Staffellauf:

Wir brauchen neue Geschichten, die die Klimakrise adäquat erzählen. Geschichten, in denen kollektives Handeln die Welt rettet. Geschichten, die mit gewohnten Erzählmustern brechen. Staffelläufe statt Heldenreisen. Denn am Ende sind wir alle keine Helden. Wir sind Lebewesen, inmitten von unzähligen anderen, die es bitter nötig haben, die Verflechtungen, die das Leben möglich machen, wieder wahrzunehmen und schätzen zu lernen.Manuel Kronenberg, Treibhauspost #59 Lies jetzt ungedingt die Longversion

Schreibt uns, welche Ideen ihr habt, für die neuen Erzählmuster und Bilder. Wunderbare Varianten von Storytelling mit Bilder und Beispielen werden in dem Buchkleinod „Change it!“ 21 Kreative Anstiftungen, die die ganze Welt, jede Organisation und sogar sich selbst zu verändern; Hinen & Hinnen, aufgezählt. Jetzt müssen wir uns im nuPerspetive Labor an die Arbeit machen…

Einfacher sind die gängigen Klima-Märchen, die haben durchschaubare Plots:

Du kennst sicher einige fossile Märchen, und meistens lassen sie sich erstaunlich gut einem narrativen Schema zuordnen. Was erklärt, warum sie so leicht verfangen.

  • Das Märchen von Verboten und Verzicht: Wir leben in Reichtum und Überfluss, Klimaschutz bringt das alles in Gefahr. Wie beim Ikarus-Plot: Wir haben uns in die Höhe gearbeitet, jetzt droht der Absturz. Die Antagonist*innen sind hier ganz klar: Aktivist*innen, Veganer*innen, die Grünen.
  • Technologie wird’s schon richten: Der blinde, faktenferne Glaube an den Fortschritt – erinnert an den Tellerwäscher-Millionär-Bogen, der nur eine Richtung kennt: steil nach oben.
  • Nachhaltiger Konsum rettet das KlimaWir müssen nur alle weniger verbrauchen und nachhaltig leben und so von schuldigen Menschen zu moralischen Super-Ökos mutieren, schon ist die Krise gelöst (Metamorphose-Plot).

Manuel Kronenberg, Treibhauspost #59 aus der Longversion

P.S. Oliver Schippers verführte mich noch den Autor John Ironmonger, der faszinierende Erzählungen zum Klima (und Coronakrise) mit seinen Bestsellern zu schmökern. Sein Lesetipp zu Weihnachten! 🙂

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