Jetzt mal wieder eine theologische Einordnung (mein eigentliches Spezialgebiet) all der letzten Schreckensmeldungen von Kollaps und Krise und Klima- oder Politikkatastrophe… Was meine ich eigentlich, wenn ich Apokalypse sage? (1200 Worte, 6 Min. Lesezeit).
Dieser Beitrag räumt mit der traditionellen, schauerlich/unwirklichen Apokalyptik des Christentums auf. Reden wir nun von unserer realen Krisen-Zeit (nach dem glückseligen 1000-jährigen Reich –) nämlich unserer Jetztzeit, der Post-Christentumsphase.
Theologisch bedeutet diese Sichtweise das Ende der „Eschatologie” (üblicherweise „die letzten Dinge” genannt), wie wir sie kennen (und wie einige sie lieben, andere sie hassten).
Weil ich durch Andrew Perriman inspiriert eine jüdisch-apokalyptische Lesart der heiligen Schriften vorschlage, ging es bei diesen Themen (damals!) um die kommende politische Befreiung von einem römischen Terror-Regime – und heute geht es um die Folgen der Externalisierungslogik des Neo-Kolonialismus unserer westlichen Gesellschaften. Aber eins nach dem anderen.
Eine neue Endzeitvorstellung ist reif
Andrew Perriman | 25. September 2017 Vor sieben (!) Jahren fasste Andrew Perriman seine Forschung folgendermaßen zusammen:
Tim Challies hat ein hilfreiches Diagramm erstellt, um die Unterschiede zwischen den drei prominentesten theologische Vorstellung über „Endzeit” zu erklären – dem Prä-Millennialismus (Vor-1000jähriges Reich), dem Post-Millennialismus (Nach-1000jähriges Reich) und dem A-Millennialismus (Gar- kein-1000jähriges Reich).
Ich sage zwar „hilfreich” – aber „nicht hilfreich” könnte bei genauerer Betrachtung aus mindestens drei Gründen doch das bessere Wort dafür sein 🙂
- Erstens verewigt diese Art von Präsentation die Idee, dass die Eschatologie des Neuen Testaments ein geheimnisvolles Puzzle ist, das die Kirche zusammenkriegen muss, eine Sammlung von Rätseln, die entschlüsselt werden wollen. Dumm nur, Lösungen für dieses Rätsel haben keinen glaubwürdigen Zusammenhang mit der wirklichen historischen Zukunft der Kirche in der Zeit — der Zukunft, wie wir sie jetzt sehen1 — und sind daher nur von hypothetischem und esoterischem Interesse.
- Zweitens, während sich das Diagramm sowohl auf Präteristische als auch auf „Historistische“-Modifikationen der Postmillennialistische- und Amillennialistische-Positionen bezieht, ist keine der Interpretationen glaubwürdig historisch. Dabei ist die Eschatologie das Herzstück des Denkens des Neuen Testaments, sie war sowohl für Jesus als auch für seine Anhänger von größter Bedeutung, und die einzige Möglichkeit, sie zu verstehen, besteht darin, die jüdisch-apokalyptische Denkweise zu übernehmen (so gut wir können) und die Zukunft aus ihrer Perspektive zu betrachten.
- Drittens verordnen alle von Challies kartierten Interpretationssysteme Ungläubige zu „ewiger Qual”. Es erscheint zwar nur im Kleingedruckten, aber es sieht in einer schwungvollen modernen Infografik immer noch zutiefst mittelalterlich unpassend aus. Es ist schrecklich falsch.
Die Horizonte der Bibel aus historisch-narrativer Sicht
Also biete ich eine post-millennialistische Ergänzung (oder Doppelter Post-Tribulationalismus Pre-Amillennialismus) mit einigen Erläuterungen an. Mir ist klar, dass diese Endzeit-Diagramme absolut uncool sind, aber manchmal muss man Feuer mit Feuer bekämpfen.
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- Die Ansichten des Neuen Testaments in die Zukunft beginnen mit der Auferstehung, aber es ist ausschließlich die Himmelfahrt Jesu zur Rechten Gottes, die die Form der wichtigsten eschatologischen Erzählung bestimmt: die Geschichte, wie der Gott Israels über die real existierenden Nationen der damaligen heidnischen Welt herrschen würde. Dies ist die treibende Kraft hinter der sogenannten „Eschatologie” des Neuen Testaments, alles rund um das „Ende der Welt wie wir sie kannten” oder die ”kommende neue geschichtliche Epoche”, „Ewigkeit” oder „neues Zeitalter” genannt. Es erklärt fast alles.
- Im Neuen Testament gibt es zwei Horizonte eines göttlichen politischen Urteils – eins über Israel und eins über die griechisch-römische Welt (vgl. Röm. 2, 9). Die Gläubigen waren Zeugen der Auferstehung Jesu und der kommenden Herrschaft Gottes und erlebten in beiden Zusammenhängen heftigen Widerstand bzw. „Trübsal”. Die Unterscheidung beider Horizonte muss sorgfältig beachtet werden. Die ganze futuristische Debatte zu Trübsal/Mittlere-Trübsal/Post-Trübsal ist für uns einfach unsinnig und völlig irrelevant, obwohl die Kirche in Thessaloniki sicherlich Paulus vielleicht ein oder zwei Fragen in eine ähnliche Richtung gestellt hätte: „Wie schlimm wird es werden, Paulus?” Damals. Als es für ihre Situation Sinn machte…
- Die prophetische Erwartung war, dass Gott schließlich (zu ihren Lebzeiten!) eingreifen würde, um zu richten, d.h. seine gerechte Herrschaft aufzurichten: Jesus würde den korrupten Führungseliten Israels als messianischer König offenbart werden und dann den Völkern. Und er würde diejenigen rechtfertigen, die die ganze Zeit über an ihn und diesen Ausgang der Geschichte glaubten, und die Märtyrer würden auferweckt werden, um mit Christus in den kommenden Zeitaltern zu herrschen, was die einzige biblische Grundlage für die Vorstellung vom „in den Himmel kommen” im Neuen Testament ist.
- Nach dem Urteil über Rom wird uns die Phase der noch übrigen, weitergehenden Weltgeschichte vorgestellt, symbolisch angedeutet durch Johannes‘ Zeitfenster der sogenannten „tausendjährigen Herrschaft Gottes” durch seinen Messias Jesus (Off. 20, 4-6).
- Am Ende dieser symbolischen tausend (für: SEEEHR LANGER ZEITRAUM) Jahre werden die übrigen Toten – mit Ausnahme der Märtyrer – zu einem endgültigen Gericht auferweckt werden, um ein gerechtes Urteil zu empfangen nach dem, „was sie getan haben” (Offb. 20, 11-15).
- Die Gerechten aber, deren Namen im Buch des Lebens geschrieben stehen, werden an Gottes neuer Schöpfung teilnehmen, die aber beileibe nicht das „ewige Königreich“ von Challies‘ Schema ist. Diese Verwechslung des „Reich Gottes” mit der „neuen Schöpfung” ist ein häufiger Fehler, der typischerweise von wohlmeinenden Theologen gemacht wird, die dem Neuen Testament eine moderne umweltbewusste Wendung geben wollen. Der Herabkunft der himmlischen Stadt (Offb. 21,2 ) ist wieder Symbolsprache und steht für das Kommen Gottes, mit dem Lamm, den Heerscharen des Himmels und den Märtyrern, um inmitten einer erneuerten Schöpfung auf Erden (nicht im Himmel 🙂 zu wohnen.
- Die Ungerechten werden zusammen mit Satan, Tod und Hades im Feuersee, dem zweiten Tod, einem endgültigen Tod eben, vernichtet (nicht ewig gequält) werden (Offb. 20, 14-15).
- Sobald der Tod (mythologisch gesprochen) vernichtet ist und es keine politischen Feinde mehr gibt, die die Integrität und Sicherheit seines Volkes bedrohen, wird Christus die Autorität zur Herrschaft an seinen Vater zurückgeben, damit Gott alles in allem sein kann (1 Kor. 15, 24-28).
Und wo stehen wir auf dieser Zeitachse?
Wir befinden uns in der unsichtbaren Lücke zwischen dem „1000-jährigen” erfolgreichen konstantinischen Christentum, das mit der französischen Revolution 1789 zu bröckeln begann… und nun unsere säkulare, post-konstantinische Christentumsphase prägt (zumindest im kolonialen Westen, außer vielleicht in den USA).
Und davon steht jetzt nichts in der Bibel, dass wir mal eben eine mindestens 1000jährige Klimakatastrophe in diesen letzten 250 Jahren losgetreten haben und dadurch eine menschheitsgeschichtlich einzigartig (schrecklich-schöne) Phase der Dominanz des Menschen (Anthropozän) über alles oder vielleicht besser der Dominanz einer speziellen menschlich-kulturellen Politik, einer Externalisierungs-Kultur, unserem modernen Kapitalismus… Die Metakrise grüßt und fraglich ist heute, ob wir eine entsprechende Meta-Resilienz entwickeln und idealerweise uns in eine Metamoderne hineinleben. Es sieht zur Zeit eher düster aus und die Kollaps-Apokalypse ist realistischer als „Hopium”, das „Kirche” (nicht alle!) wie reiche Mittelschicht allzugerne verteilt.
Was sagen uns die 7 Verse der Bibel (Offenb. 21, 1-7)
Das wäre eine ausführliche Betrachtung wert. Ich selbst habe sie auf Beerdigungen als Trostlied vorgetragen. Wie wirklich ist diese Utopie jetzt noch nach der real-politischen Umdeutung der biblischen Endzeitvorstellung? Oder genauer: Wie deuten wir sie heute im Post-Millenium? Es kann uns kaum als Evangelium, Trostbotschaft oder nahe Hoffnung dienen. Auf 7 Versen lässt sich kaum eine stichhaltige biblische Lehre aufbauen. Denn alles andere ist ja schon abgefrühstückt, vergangen und hat sich damit erfüllt. Was bleibt vom jüngsten Gericht wirklich (außer vielleicht einige Kaffeetassen, dreckigen Müßlischalen und mit Nutella verschmierten Tellern? Scherz zu Ende). Dazu später mehr, wenn gewünscht.
Hier eine Andeutung: Es gibt kein Kommen des Menschensohnes, wenn wir zu der endgültigen Auferstehung aller Toten zum Gericht in Offenbarung 20, 11-15 kommen. Ups, wo ist er denn geblieben? Das Wort Gottes ist nach dem Sturz des Großen Babylon, Rom, erschienen, um die Völker des Imperiums zu unterwerfen und sie mit einem Eisenstab zu beherrschen (19, 11-16). Das wird zur übergeordneten eschatologischen Vision der späteren apostolischen Gemeinschaft: nämlich der Triumph des Zeugnisses der Märtyrer über das monströse Reich und die Völker, die ihm zu Willen waren.
ANMERKUNGEN:
- Wir könnten zum Beispiel argumentieren, dass der Zusammenbruch des Christentums, als die Souveränität Gottes über die westliche Gesellschaft von der säkularen Vernunft usurpiert wurde, ein „eschatologisches“ Ereignis war, das nicht weniger bedeutsam war als das babylonische Exil, der Versuch von Antiochus Epiphanes, das Judentum zu unterdrücken, der Krieg gegen Rom oder die Niederlage des klassischen Heidentums.
Oder wir könnten – im Geiste – argumentieren, dass die Welt vor einer drohenden Umweltkatastrophe steht, die den „Zorn“ Gottes gegen eine Kultur darstellt, die eher das Von Menschen Gemachte als den Schöpfer verehrt. Ich hoffe aufrichtig, dass dies nicht der Fall ist, aber das wäre eine Möglichkeit, Paulus‘ eschatologisch orientierte Analyse der griechisch-römischen Kultur in unserem eigenen Kontext neu zu interpretieren oder neu zu erzählen.
Auf jeden Fall ist es etwas, wofür es sich zu leben lohnt. ↩