Andreas Reckwitz: Verlust. Ein Grundproblem der Moderne

Hier analysiere ich die soziologische Interpretation der Moderne als Verlustgeschichte mit der geschulten metamodernen Brille.

Einführung

Zentrales Thema und Fragestellung

Andreas Reckwitz’ Buch „Verlust. Ein Grundproblem der Moderne“ widmet sich einer umfassenden soziologischen Analyse des Verlusts als zentrales, aber bislang wenig systematisch behandeltes Thema der westlichen Moderne. Reckwitz stellt fest, dass die Moderne seit der Sattelzeit (ca. 1750–1850) von Leitbildern wie Fortschritt, Entwicklung und Revolution geprägt ist, während reale Verlusterfahrungen in diesem Fortschrittsnarrativ keinen anerkannten Platz haben. Die Moderne will Verluste überwinden, produziert aber durch ständigen Wandel und Innovation immer neue Verluste – ein grundlegendes Paradox[5][10][1].

Teil 1: Was sind und wie wirken Verluste?

Verluste betreffen zentrale Lebensbereiche: Tod, Heimat, Status, Kontrolle oder Zugehörigkeit. Ihre Bedeutung entsteht im sozialen Kontext, sie sind in Praktiken, Diskurse und Emotionen eingebettet. Voraussetzung für Verlusterfahrungen sind starke emotionale Bindungen, die als Orientierungspunkte für Identität und Selbstdeutung dienen. Verluste sind durch Irreversibilität, Unverfügbarkeit und Identitätsrelevanz gekennzeichnet. Emotionen wie Trauer, Angst oder Wut werden als soziale Praktiken verstanden („doing emotion“). In sogenannten Verlustarenen wird gesellschaftlich ausgehandelt, welche Verluste sichtbar gemacht werden – und welche unsichtbar bleiben[5][7].

Teil 2: Die Verlustparadoxie der Moderne

Der Fortschrittsimperativ der Moderne prägt Institutionen, Ökonomie, Politik und Subjektivität. Einerseits strebt die Moderne nach Verlustvermeidung (z.B. durch Medizin, Technik, Recht), andererseits steigert sie durch ständigen Innovationsdruck die Zahl und Intensität erlebter Verluste: soziale Umbrüche, Wettbewerb, Obsoleszenz, Singularisierung und die Emotionalisierung persönlicher Beziehungen. Der Tod wird besonders verdrängt, weil er das Fortschrittsdenken radikal infrage stellt. Modernisierung bedeutet daher eine permanente Reproduktion von Gewinnern und Verlierern, von Verlustängsten und Empfindlichkeiten. Populistische Bewegungen nutzen Verlustnarrative gezielt, um Schuldige zu benennen und „Rache an den Gewinnern“ zu inszenieren[5][6][1].

Teil 3: Die Eskalation des Verlusts in der Spätmoderne

Reckwitz diagnostiziert für die Gegenwart eine „Verlusteskalation“: Die Balance zwischen Verlusterkennung und Verlustverdrängung, die die Moderne lange auszeichnete, kippt in der Spätmoderne. Die große Erzählung vom ewigen Fortschritt verliert an Glaubwürdigkeit, Verluste lassen sich nicht mehr unsichtbar machen. Dies zeigt sich in gesellschaftlicher Technikskepsis, Ökonomieskepsis und Staatsskepsis. Die Menschen erleben Klimawandel, Pandemie, politische Krisen und den Zerfall alter Sicherheiten als massive Verlusterfahrungen, die sie auf die Straße, in Therapie oder in die Arme von Populisten treiben[1][10][9].

Ausblick: Die „Reparatur der Moderne“

Reckwitz sieht drei mögliche Szenarien für den Umgang mit Verlust in der Moderne:

  • Weiter wie bisher, in der Hoffnung, dass es gut geht.
  • Die Moderne endet in einer Katastrophe.
  • Die „Reparatur der Moderne“: Gesellschaften richten ihr Handeln künftig auf die Reduktion und Vermeidung von Verlusten aus. Wer diese „Reparatur“ konkret umsetzen soll, bleibt offen – Reckwitz fordert jedoch, sich aktiv und produktiv mit Verlusten auseinanderzusetzen, statt in Verlustphobie zu erstarren[1][7].

Fazit

Reckwitz’ Buch bietet alles in allem eine Pionierarbeit zur soziologischen Analyse des „Verlustes” in der Moderne. Er zeigt, dass Verlusterfahrungen und -ängste nicht nur Begleiterscheinungen, sondern zentrale Triebkräfte gesellschaftlicher Entwicklungen sind. Die Frage, wie moderne Gesellschaften produktiv mit Verlusten umgehen können, wird zur existenziellen Herausforderung des 21. Jahrhunderts[10][9][5].

[1] https://www.swr.de/swrkultur/literatur/andreas-reckwitz-verlust-100.html

[2] https://www.boell.de/de/2025/01/20/andreas-reckwitz-verlust-ein-grundproblem-der-moderne-buch-im-gespraech

[3] https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Soziologe-Reckwitz-Die-Moderne-hat-ein-Problem-mit-Verlusten,reckwitz102.html

[4] https://www.pw-portal.de/demokratie-und-frieden/ueberblick/andreas-reckwitz-verlust-ein-grundproblem-der-moderne

[5] https://www.psychotherapie-ausserwoeger.at/zusammenfassung-andreas-reckwitz-verlust-ein-grundproblem-der-moderne/

[6] https://ralphjanik.com/2025/04/13/rezension-andreas-reckwitz-verlust-ein-grundproblem-der-moderne-suhrkamp-2024/

[7] https://www.socialnet.de/rezensionen/32773.php

[8] https://www.youtube.com/watch?v=ABMfMnLzjg4

[9] https://www.perlentaucher.de/buch/andreas-reckwitz/verlust.html

[10] https://www.suhrkamp.de/buch/andreas-reckwitz-verlust-t-9783518588222

Wir beschreibt Reckwitz eine nötige „Reparatur der Moderne“?

Kernidee

Mit der „Reparatur der Moderne“ meint Andreas Reckwitz keinen nostalgischen Rückzug in die Vergangenheit, sondern die bewusste Entwicklung von Strategien, um mit den Unsicherheiten, Verlusten und Krisen der Gegenwart produktiv umzugehen[1]. Die Moderne ist geprägt von Fortschritt, Innovation und ständiger Beschleunigung – diese Dynamik führt jedoch auch zu Entfremdung, Instabilität und dem Verlust von kultureller Verankerung und Routinen[1]. Reckwitz sieht die Notwendigkeit, diese Ambivalenz nicht zu verleugnen, sondern aktiv und gestaltend anzugehen.

Wie könnte die Reparatur aussehen?

  • Resilienz als Leitmotiv: Anstelle eines einseitigen Fortschrittsglaubens soll Resilienz – also die Fähigkeit, Krisen und Verluste auszuhalten und produktiv zu verarbeiten – zum zentralen Leitprinzip der Moderne werden[1][2]. Es geht darum, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Strukturen so zu gestalten, dass sie auch unter den Bedingungen von Unsicherheit und Wandel tragfähig bleiben.
  • Neue Formen gesellschaftlicher Ordnung: Die Reparatur der Moderne verlangt nach einem Politikstil, der Konflikte und Fragmentierung nicht als Bedrohung, sondern als demokratische Ressource anerkennt. Gesellschaftlicher Zusammenhalt muss auch in einer fragmentierten, multipolaren Welt funktionieren[1].
  • Konstruktiver Umgang mit Verlust: Verluste werden nicht verdrängt, sondern als Ausgangspunkt für neue Selbstverständnisse und Handlungsweisen genommen. Dies bedeutet, Verlustängste ernst zu nehmen, aber nicht in Fatalismus oder Populismus zu verfallen[1].
  • Balance zwischen Innovation und Bewahrung: Transformationen sollen nicht als lineare Fortschrittsgeschichten verstanden werden, sondern als Prozesse, in denen auch Gegentrends, Rückbesinnungen und das Bewahren von Bewährtem eine Rolle spielen[1].
  • Stärkung von Bildung, Kultur und sozialem Zusammenhalt: Die Reparatur der Moderne umfasst auch, Bildung und Kultur so zu gestalten, dass sie den Menschen und seine Bedürfnisse ins Zentrum stellen – nicht nur Technik und Effizienz[1]. Hier ist die Forderung nach deiner „neuen Aufklärung” zu platzieren. Kein Lösung der Metakrise ohne die nötige Selbstvergewisserung: Wer ist der Mensch? (vgl. z.B. den Ansatz von Markus Gabriel, den ich später vertiefe).
  • Nachhaltige Wohlstandsmodelle: Das Wachstumsdogma wird hinterfragt und durch nachhaltige, zukunftsfähige Wohlstandsmodelle ersetzt, die ökologische und soziale Grenzen respektieren[1]. Z.B. auch hier Markus Gabriel: Gutes tun!

Fazit

Die „Reparatur der Moderne“ nach Reckwitz ist ein Aufruf, die Moderne nicht aufzugeben, sondern sie weiterzuentwickeln: durch mehr Resilienz, einen konstruktiven Umgang mit Verlusten und ein neues Gleichgewicht zwischen Innovation und Bewahrung. Es geht um die Fähigkeit, Unsicherheit zu akzeptieren und daraus Zukunftskompetenzen zu entwickeln[1][2]. Wichtig dabei bleibt, dass durch mehr Wissenschaft und Technik diese Reparatur nicht gelingen wird, weil Wissenschaft und Technik Treiber der Problemlagen waren (bei allem Fortschritt). Es braucht moralischen, gesellschaftlichen Fortschritt, also die Geisteswissenschaften mit ihren Kompetenzen ebenbürtig neben den technischen Wissenschaften, um eine komplexe Lösung zu finden.

[1] https://thefutureproject.de/category/content/

[2] https://de.linkedin.com/posts/the-futureproject_welche-zuk%C3%BCnfte-gibt-es-jenseits-von-utopie-activity-7264540464295374848-Harx

[3] https://www.swr.de/~podcast/swrkultur/programm/podcast-lesenswert-100.xml%20%20target=

Was sind die Hauptursachen für diese Verlusteskalation in der Spätmoderne?

Die Spätmoderne, die etwa seit den 1970er Jahren beginnt, ist laut Reckwitz von einer deutlichen Steigerung und Sichtbarkeit von Verlusterfahrungen geprägt. Wir nennen das „Metakrise”. Die Hauptursachen dieser „Verlusteskalation“ sind vielfältig und miteinander verwoben:

1. Erosion des Fortschrittsnarrativs

  • Der traditionelle Fortschrittsglaube, der die Moderne lange prägte, verliert an Überzeugungskraft. Ereignisse wie Wirtschaftskrisen, Klimawandel und politische Unsicherheiten machen deutlich, dass Fortschritt nicht mehr als selbstverständlich gilt und häufig mit neuen Risiken und Verlusten einhergeht[5][2][4].

2. Strukturwandel und Globalisierung

  • Der Übergang von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft hat zu Deindustrialisierung, Arbeitsplatzverlusten und neuen sozialen Ungleichheiten geführt. Die Globalisierung schwächt nationale Sicherungssysteme und führt zu einem Gefühl von Kontrollverlust[2][5].

3. Zunahme sozialer Ungleichheit

  • Die Mittelstandsgesellschaft wird durch größere soziale Unterschiede abgelöst: Eine wohlhabende Oberklasse, eine qualifizierte, aber unter Druck stehende Mittelklasse und eine wachsende prekäre Unterschicht erleben Verluste an Status, Sicherheit und Teilhabe[2].

4. Ökologische Krisen und Klimawandel

  • Umweltzerstörung, Klimakatastrophen und die damit verbundenen Folgen wie Migration, Gesundheitsrisiken und der Verlust von Lebensraum führen zu kollektiven Verlusterfahrungen und untergraben den Glauben an unbegrenzten Fortschritt[2][5].

5. Subjektivierung und Selbstverwirklichungskultur

  • Die Betonung individueller Selbstverwirklichung steigert die Sensibilität für persönliche Verluste, etwa beim Scheitern von Lebensentwürfen oder im Wettbewerb um Anerkennung und Erfolg[2][5].

6. Institutioneller und politischer Vertrauensverlust

  • Skepsis gegenüber Technik, Wirtschaft und Staat nimmt zu. Entscheidungen werden zunehmend von supranationalen Institutionen getroffen, was das Gefühl von Einflusslosigkeit verstärkt[2][5].

7. Historische und kulturelle Verluste

  • Die Aufarbeitung historischer Wunden (z.B. Kolonialismus, Wiedervereinigung) und die Infragestellung kultureller Traditionen führen zu weiteren Verlusterfahrungen und gesellschaftlichen Konflikten[4][5].

8. Emotionalisierung und Sensibilisierung für Verluste

  • Die Gesellschaft wird sensibler für Verluste, die früher verdrängt oder unsichtbar gemacht wurden. Emotionale Verluste, etwa durch Vereinsamung oder den Zerfall sozialer Bindungen, rücken stärker ins Bewusstsein[5][2].

Fazit

Die Verlusteskalation der Spätmoderne ist das Ergebnis eines Zusammenspiels aus erodierendem Fortschrittsglauben, sozialem und ökologischem Wandel, wachsender Ungleichheit, institutioneller Unsicherheit und einer gesteigerten gesellschaftlichen Sensibilität für Verluste. Reckwitz sieht darin ein zentrales Merkmal und Problem der Gegenwart, das neue Formen des Umgangs mit Verlusten erfordert[5][2][4].

[1] https://www.soziopolis.de/auf-dem-weg-zu-einer-soziologie-des-verlusts.html

[2] https://www.attac.de/blog/detailansicht/news/verluste-und-ihre-bewaeltigung?type=28032013

[3] https://www.zeit.de/kultur/2024-01/andreas-reckwitz-soziologie-verlustparadox-liberale-demokratie

[4] https://www.das-parlament.de/kultur/politisches/warum-in-der-spaetmoderne-die-verluste-eskalieren

[5] https://www.socialnet.de/rezensionen/32773.php

[6] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/verschwoerungstheorien-2021/339278/sozialer-wandel-sozialcharakter-und-verschwoerungsdenken-in-der-spaetmoderne/

[7] https://www.swr.de/swrkultur/literatur/andreas-reckwitz-verlust-100.html

[8] https://www.fes.de/asd/buch-essenz/reckwitz-verlust

Wie ernst nimmt Reckwitz die Klimakatastrophe?

Ist die anbrechende Klimakatastrophe nicht die Hauptbedrohung der Moderne? Quasi das katastrophale Ende der Moderne und mit ihr das Ende der Menschen wie wir sie kennen?

Andreas Reckwitz nimmt die Klimakatastrophe in seinem Buch sehr ernst und zählt sie explizit zu den zentralen und bedrohlichsten Verlustphänomenen der Spätmoderne. Er beschreibt den Klimawandel als eine der Ursachen dafür, dass der traditionelle Fortschrittsglaube der Moderne massiv ins Wanken gerät und die Gesellschaft in eine anhaltende Krisenstimmung versetzt wird126. Die Klimakatastrophe ist für Reckwitz ein Paradebeispiel dafür, wie die Moderne durch ihren eigenen Fortschritts- und Wachstumsdrang irreversible Schäden und Verluste erzeugt – etwa den Verlust von Lebensräumen, Artenvielfalt und ökologischer Stabilität6.

Reckwitz sieht in der Klimakrise nicht nur ein weiteres Problem unter vielen, sondern einen Wendepunkt: Die Moderne wird gezwungen, sich mit der Perspektive eines grundlegenden Zukunftsverlustes auseinanderzusetzen, statt wie bisher einer besseren Zukunft entgegenzusehen5. Die Folgen des Klimawandels – von Extremwetter bis zu existenziellen Bedrohungen für ganze Gesellschaften – markieren für ihn eine neue Qualität von Verlust, die das Selbstverständnis und die Handlungsfähigkeit der Moderne grundsätzlich infrage stellt16.

Gleichzeitig warnt Reckwitz davor, die Klimakatastrophe als das alleinige oder absolute Ende der Moderne und der Menschheit zu deuten. Vielmehr sieht er sie als symptomatisch für die „Verlusteskalation“ der Spätmoderne, in der viele Sicherheiten und Zukunftserwartungen wegbrechen257. Die Klimakrise ist damit eine Hauptbedrohung, aber sie steht im Kontext weiterer gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Krisen, die zusammen das Selbstbild der Moderne erschüttern.

Reckwitz plädiert daher für eine „Reparatur der Moderne“, die einen bewussten, verlustsensiblen Umgang mit solchen Krisen und insbesondere mit der Klimakatastrophe entwickelt, um nicht in Fatalismus oder Katastrophismus zu verfallen, sondern handlungsfähig zu bleiben7.

1 https://www.ndr.de/kultur/buch/Wohlstand-Fortschritt-Klima-Andreas-Reckwitz-ueber-Verluste-der-Moderne,reckwitz108.html

2 https://www.augsburger-allgemeine.de/kultur/buchkritik-die-verlorene-kunst-des-scheiterns-andreas-reckwitz-neues-buch-verlust-103651918

3 https://www.soziopolis.de/unfrohe-botschaft.html

4 https://www.soziopolis.de/auf-dem-weg-zu-einer-soziologie-des-verlusts.html

5 https://www.youtube.com/watch?v=bq-HYzMGcs

6 https://taz.de/Andreas-Reckwitz-Buch-Verlust/!6040810/

7 https://www.zeit.de/2024/45/andreas-reckwitz-soziologie-oeffentlichkeitsarbeit-gegenwart

8 https://www.boell.de/de/2025/01/20/andreas-reckwitz-verlust-ein-grundproblem-der-moderne-buch-im-gespraech

Wie beschreibt er genau die Verbindung zwischen Klimakatastrophe und dem Ende der Moderne?

Andreas Reckwitz sieht eine enge Verbindung zwischen der Klimakatastrophe und dem möglichen Ende der Moderne, wie wir sie kennen. Für ihn stellt der Klimawandel die massivste Herausforderung für das Fortschritts- und Modernisierungsparadigma dar, das die Moderne traditionell geprägt hat. Während die Moderne stets davon ausging, dass die Zukunft durch technischen und gesellschaftlichen Fortschritt besser werde, bringt der Klimawandel diese Grundannahme ins Wanken: Die Zukunft erscheint nicht mehr als Verheißung, sondern als Bedrohung15.

Reckwitz betont, dass der Klimawandel nicht nur gegenwärtige Verluste verursacht, sondern vor allem einen radikalen Zukunftsverlust bedeutet. Die Stabilität und Ausbeutbarkeit der natürlichen Ressourcen, die für das Projekt der westlichen Moderne grundlegend waren, sind durch den Klimawandel unwiderruflich erschüttert. Die Erde reagiert im Anthropozän auf menschliche Eingriffe mit einer Verschlechterung der Lebensbedingungen, was das Expansionsprojekt der Moderne an seine Grenzen bringt45.

Diese Entwicklung führt laut Reckwitz zu einer „Erschöpfung“ der Moderne: Das Gleichgewicht zwischen Fortschritt und Verlust, das die Moderne lange Zeit auszeichnete, bricht zusammen. Die Gesellschaften der Spätmoderne erleben eine Erosion des Glaubens an eine bessere Zukunft, was sich in einer allgemeinen Krisenstimmung und Zukunftsskepsis äußert46. Der Klimawandel steht damit symbolisch für das Ende der Fortschrittserzählung und markiert einen Wendepunkt, an dem die Moderne gezwungen ist, sich mit der Möglichkeit ihres eigenen Scheiterns auseinanderzusetzen15.

Reckwitz sieht jedoch nicht zwangsläufig das absolute Ende der Moderne oder der Menschheit, sondern eine Phase, in der die Moderne ihre eigenen Grenzen und destruktiven Potenziale erkennen muss. Die Klimakatastrophe zwingt die Gesellschaft, neue Wege des Umgangs mit Verlusten und Krisen zu entwickeln, um handlungsfähig zu bleiben und nicht in Fatalismus zu verfallen15.

1 https://www.ndr.de/kultur/buch/Wohlstand-Fortschritt-Klima-Andreas-Reckwitz-ueber-Verluste-der-Moderne,reckwitz108.html

2 https://www.ndr.de/kultur/epg/Wohlstand-Fortschritt-Klima-Andreas-Reckwitz-ueber-Verluste-der-Moderne-,sendung1491230.html

3 https://www.spiegel.de/kultur/klimawandel-und-krisen-der-glaube-an-eine-bessere-welt-erlischt-was-die-politik-dagegen-tun-kann-a-29cc6723-fd43-4ee3-b0e1-9a2ae5ab32e1

4 https://www.youtube.com/watch?v=NlVLRMOnNq8

5 https://www.tagesspiegel.de/politik/andreas-reckwitz-verluste-widersprechen-dem-fortschrittsgedanken-9003058.html

6 https://www.zeit.de/2023/13/krisen-katastrophen-film-literatur-theorie

7 https://www.publikationen-bundesregierung.de/resource/blob/2277952/2330426/681501f0dfff81247ad582461017825f/zwischen-zustimmung-und-zuversicht-16-01-2025-download-bkamt-data.pdf?download=1

8 https://www.fes.de/asd/buch-essenz/andreas-reckwitz-2019-das-ende-der-illusionen-politik-oekonomie-und-kultur-in-der-spaetmoderne

Könnte „Antifragilität” eine bessere Strategie gegen Verluste in der Spätmoderne sein?

Antifragilität (nach Nassim Nicholas Taleb) könnte tatsächlich eine überlegene Strategie im Umgang mit Verlusten in der Spätmoderne darstellen – und in vielerlei Hinsicht über das hinausgehen, was der Resilienzbegriff bei Reckwitz umfasst.

Unterschied zwischen Resilienz und Antifragilität

  • Resilienz bedeutet, Schocks, Verluste und Krisen auszuhalten und danach in den Ursprungszustand zurückzukehren. Resiliente Systeme sind widerstandsfähig, aber sie verändern sich im Kern nicht.
  • Antifragilität (nach Nassim Nicholas Taleb) geht einen Schritt weiter: Antifragile Systeme profitieren von Unsicherheit, Stress und Störungen. Sie wachsen und verbessern sich gerade durch Krisen und Verluste[1][5][6][7].

Vorteile der Antifragilität als Strategie

  • Antifragile Systeme nutzen Verluste und Störungen als Innovationsmotor. Sie werden durch Herausforderungen stärker, anstatt nur zu „überleben“[5][6][7].
  • Sie setzen auf Dezentralisierung, Redundanz (bewusste Überkapazitäten), dezentrale Entscheidungsstrukturen und die Bereitschaft, aus Fehlern und Rückschlägen zu lernen[1][5].
  • Während Resilienz oft defensiv bleibt und auf Schadensbegrenzung zielt, ist Antifragilität proaktiv und nutzt das Unvorhersehbare als Chance für Entwicklung und Anpassung[5][6][7].

Kritische Aspekte und Grenzen

  • Antifragilität ist nicht immer und überall umsetzbar. Sie setzt voraus, dass Systeme oder Organisationen so gestaltet sind, dass sie von Stressoren profitieren können – das ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen, etwa bei sozialer Ungleichheit oder ökologischen Kipppunkten, nicht ohne Weiteres möglich[3].
  • Taleb betont, dass Antifragilität nicht auf Kosten der Gemeinschaft gehen darf; ethische und soziale Verantwortung bleiben zentral[3].

Fazit

Antifragilität bietet eine radikalere und potenziell produktivere Perspektive als reine Resilienz: Sie verwandelt Verluste und Unsicherheiten in Wachstumschancen. Für die Herausforderungen der Spätmoderne – von Klimakrise bis sozialer Disruption – könnte eine antifragile Strategie tatsächlich zukunftsfähiger sein als bloße Widerstandsfähigkeit[5][6][7]. Sie verlangt jedoch ein Umdenken in Organisation, Gesellschaft und Politik, um nicht nur Krisen zu überstehen, sondern an ihnen zu wachsen. Und sie benötigt Ressourcen, die u.U. nicht zur Verfügung stehen.

[1] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/buch-antifragilitaet-von-nassim-taleb-sokrates-haette-ein-like-kassiert-1.1624906

[2] https://www.lead-innovation.com/insights/antifragilit%C3%A4t_und_innovationsmanagement

[3] https://www.justetf.com/de/news/etf-buch-tipps/antifragilitaet.html

[4] https://www.amazon.de/Antifragilit%C3%A4t-Anleitung-eine-nicht-verstehen/dp/3813504891

[5] https://www.mensch-und-kommunikation.de/2025/03/20/anti-fragilitaet/

[6] https://youexec.com/book-summaries/antifragile-dinge-die-von-unordnung-profitieren-von-nassim-nicholas-taleb

[7] https://de.linkedin.com/pulse/antifragilit%C3%A4t-oder-resilienz-passt-besser-g%C3%BCnter-josef-mohr

[8] https://www.egotrip.de/2015/04/nassim-nicholas-taleb-antifragilitat-anleitung-fur-eine-welt-die-wir-nicht-verstehen/

Welche Anzeichen deuten darauf hin, dass sich die Moderne nach einer Reparatur als „Metamoderne” entpuppt?

Mehrere Merkmale deuten darauf hin, dass die „Reparatur der Moderne“ – wie sie Reckwitz vorschlägt – tatsächlich einen Übergang in eine neue Epoche markieren könnte, die eben als Metamoderne bezeichnet werden könnte:

1. Integration von Gegensätzen und Polaritäten

  • Die Metamoderne ist gekennzeichnet durch das bewusste Oszillieren zwischen scheinbar widersprüchlichen Polen: zwischen Fortschrittsglaube und Skepsis, Hoffnung und Melancholie, Naivität und Wissen, Einheit und Pluralität[1][4][5][6].
  • Nach der Reckwitzschen Reparatur der Moderne zeigte sich evt. eine neue Bereitschaft, diese Polaritäten nicht mehr als Widersprüche aufzulösen, sondern produktiv miteinander zu verbinden.

2. Reflexion und Synthese von Moderne und Postmoderne

  • Die Metamoderne reflektiert sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Moderne (z.B. Fortschrittsoptimismus, Universalismus) und der Postmoderne (z.B. Dekonstruktion, Relativismus)[1][5][6].
  • Sie sucht eine Synthese, indem sie die kritische Distanz der Postmoderne mit dem Gestaltungswillen der Moderne verbindet.

3. Neue Erzählungen und Sinnstiftung

  • Während die Moderne große Erzählungen (Metanarrative) schuf und die Postmoderne diese dekonstruiert hat, entstehen in der Metamoderne neue, selbstreflexive Erzählungen, die Bedeutung stiften, aber gleichzeitig und immer ihre eigene Konstruiertheit dabei anerkennen[1][5][6].

4. Informierte Naivität und Werteorientierung

  • Die Metamoderne ist geprägt von einer „informierten Naivität“: Sie erlaubt wieder Hoffnung, Engagement und Sinnsuche, ohne dabei die Ironie und Skepsis der Postmoderne zu verleugnen[4][6].
  • Es entsteht ein neues Verantwortungsbewusstsein und eine Werteorientierung, die universelle Dimensionen wie das Gute, Wahre und Schöne wieder ins Zentrum rücken[4].

5. Fluide Identität und Komplexitätsbewusstsein

  • Identität wird als flexibel und kontextabhängig verstanden, nicht mehr als starr oder ausschließlich konstruiert[4].
  • Die Metamoderne akzeptiert Komplexität und Vielschichtigkeit als Grundbedingung gesellschaftlicher und individueller Existenz.

6. Rückbesinnung auf Gemeinschaft und Transzendenz

  • Die Metamoderne integriert Qualitäten der Vormoderne, wie Gemeinschaftlichkeit und Transzendenz, und verbindet sie mit den Errungenschaften der Moderne und Postmoderne[5][6].

Fazit:
Wenn die „Reparatur der Moderne“ nach Reckwitz tatsächlich gelingt, zeigen diese Anzeichen, dass sich die Moderne in eine Metamoderne transformieren könnte: Eine Epoche, die Gegensätze integriert, neue Sinnstiftung ermöglicht, Verantwortung betont und sich der Komplexität und Unsicherheit der Gegenwart stellt – jenseits der Einseitigkeiten von Moderne und Postmoderne[1][4][5][6].

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Metamoderne

[2] https://www.philomag.de/artikel/wege-der-metamoderne-entsteht-hier-eine-neue-epoche

[3] https://phaidra.univie.ac.at/download/o:1342768

[4] https://www.purpose-magazin.de/das-ist-metamodern/

[5] https://www.michaelsbund.de/innehalten/gesellschaft/zukunft/hat-die-metamoderne-schon-begonnen/

[6] https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/media/pdf/54/49/0a/9783647400341_sample.pdf

[7] https://dokumen.pub/where-are-we-now-orientierungen-nach-der-postmoderne-9783839462560.html

[8] https://www.academia.edu/63316101/Navigationen_21_2_2021_Zuk%C3%BCnftige_Medien%C3%A4sthetik_

Wie unterscheiden sich metamoderne Werte von den Idealen der Moderne und Postmoderne?

Ein kleiner Exkurs zum Wertevergleich: Moderne, Postmoderne und Metamoderne

Die Metamoderne entwickelt Werte, die sich bewusst von den Einseitigkeiten der Moderne und Postmoderne abgrenzen und diese integrieren. Hier die zentralen Unterschiede:

Moderne (ca. 18.–20. Jh.)

  • Fortschrittsglaube: Unerschütterlicher Optimismus, dass technischer und gesellschaftlicher Fortschritt alle Probleme lösen wird 16.
  • Rationalität und Objektivität: Wissenschaft und Vernunft als alleinige Wahrheitsquellen; Ablehnung von Subjektivität 5.
  • Universelle Wahrheit: Streben nach allgemeingültigen Prinzipien und "großen Erzählungen" (z.B. Marxismus, Liberalismus) 37.
  • Individualismus: Fokus auf Autonomie und Leistung des Einzelnen 5.
  • Macht über die Natur: Mensch als Gestalter der Natur durch Technik 5.

Postmoderne (spätes 20. Jh.)

  • Relativismus: Ablehnung universeller Wahrheiten; Betonung kontextabhängiger, lokaler Perspektiven 16.
  • Dekonstruktion: Kritische Zerlegung von Machtstrukturen und Ideologien; Misstrauen gegenüber "großen Erzählungen" 5.
  • Ironie und Skeptizismus: Distanzierte Haltung gegenüber Engagement und Sinnstiftung 4.
  • Multikulturalität: Fokus auf Vielfalt und Marginalisierte 5.
  • Beliebigkeit: Infragestellung von Hierarchien und Werten als sozial konstruiert 7.

Metamoderne (ab frühes 21. Jh.)

  • Oszillation: Bewegung zwischen Gegensätzen (z.B. Fortschrittsglaube und Skepsis, Aufrichtigkeit und Ironie) 48.
  • Rekonstruktion nach Dekonstruktion: Nicht nur Kritik, sondern aktives Gestalten neuer Sinnangebote und "selbstbewusster" Erzählungen 5.
  • Informierte Naivität: Engagement und Hoffnung trotz Wissen um Komplexität 4.
  • Integrative Werte:
  • Gemeinschaftlichkeit (Vormoderne) + Individualität (Moderne) 36.
  • Transzendenz (Spiritualität, Verbundenheit) + Rationalität 3.
  • Ethische Hierarchien: Anerkennung von Kompetenz- und Wertehierarchien ohne Machtmissbrauch 5.
  • Antifragilität: Krisen als Chancen für Wachstum und Innovation 5.

Zusammenfassender Vergleich

Wertedimension Moderne Postmoderne Metamoderne
Wahrheit Universell, objektiv Relativ, konstruiert Erlebt und gefühlt 6
Fortschritt Linear, optimistisch Skeptisch, dekonstruiert Reflektiert, kontextsensibel 5
Haltung Naiver Idealismus Ironische Distanz Aufrichtige Ironie 4
Gesellschaft Meritokratisch Multikulturell Gemeinschaftlich-pluralistisch 5
Naturverhältnis Beherrschung Kritik der Ausbeutung Ko-evolutionär 5

Die Metamoderne überwindet die Polarisierung ihrer Vorgänger: Sie verbindet das Gestaltungspathos der Moderne mit der kritischen Reflexion der Postmoderne und integriert gleichzeitig verloren geglaubte Werte wie Gemeinschaft und Transzendenz 37. Ihr Kern ist die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten und produktiv zu wenden.

1 https://www.philomag.de/artikel/wege-der-metamoderne-entsteht-hier-eine-neue-epoche

2 https://www.reddit.com/r/books/comments/xw36vb/difference_between_modernist_postmodern_and/?tl=de

3 https://www.michaelsbund.de/innehalten/gesellschaft/zukunft/hat-die-metamoderne-schon-begonnen/

4 https://karlhosang.de/metamodernismus-einfach-erklaert/

5 https://transformazine.de/metamodernismus-als-transformationsprojekt-oder-vice-versa

6 https://www.manova.news/artikel/die-geburt-einer-neuen-kultur

7 https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/media/pdf/54/49/0a/9783647400341_sample.pdf

8 https://www.reddit.com/r/philosophy/comments/sylp9t/metamodernism_is_an_emerging_cultural_trend_that/?tl=de

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