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Ich publiziere hier die Sichtweise des österreichischen Klimaforschers im Feld Klimapolitik, Reinhard Steurer @ReiSteurer (Bio hier)
Sein twitter-Motto: Die Klimakrise eskaliert, weil Ausreden & Scheinklimaschutz Erfolg haben. Als Prof für Klimapolitik sehe ich viel davon und zeige beides hier auf. Starten wir mit seinem Kommentar zur US-Wahl.
Wir: Verdrängungsgesellschaft vgl. USA-Wahl
„Die #USAElections2024 bestätigt einmal mehr den Trend, dass sich Mehrheitsgesellschaften von der Realität multipler Krisen abwenden und jenen nachlaufen, die versprechen, alles werde wieder so wie es war. Im Fall der USA hätte ich das kaum für möglich gehalten, aber weil die Realitätsverweigerung dort so brachial ist…
Das Land stand vor der Wahl:
- a) größte zivilisatorische Errungenschaft (vernünftige farbige Frau) oder
- b) größtmöglicher zivilisatorischer Abgrund (offener Faschist & Verleugner von Fakten)
und hat sich für b) entschieden
Somit ist einmal mehr klargestellt: Vernunft & Fakten sind in Zeiten multipler Krisen nicht mehr mehrheitsfähig. Die Mehrheit will Märchen, Mythen, Unvernunft, Fake News & Verleugnung.
Die Mehrheit will mit bequemer Realitätsverweigerung zurück in die Zukunft, auch in Österreich, Deutschland.
Damit kann man das westliche, auf Fossilenergie basierende Wohlstandsmodell noch für ein paar Jahre hochleben lassen. Der Fall danach wird natürlich umso brutaler, denn am Ende gewinnt immer die physikalische Realität. Auch gegen Trump, AfD, FPÖ.
Bis dahin lautet die 1. Priorität auch nicht mehr Klimaschutz. Die Ära der Eindämmung oder Mäßigung von negativen Folgen ist vorbei. Die höchste Priorität lautet, Aufklärung, Vernunft und Demokratie so lange wie möglich zu bewahren — auch bzw. gerade im Angesicht multipler Krisen. Ein Oxymoron? Vielleicht. „
(Wir bei nuPerspective benennen diese Situation kurz mit dem Begriff: Metakrise). Ganz konkret sieht der Zerfall der Zivilisation dann so aus. In aller Öffentlichkeit. Der Prozess der Zivilisation geht auch rückwärts, was wir seit der Forschung von David Graeber und David Wengrow in ihrem Buch „Anfänge“ eine neue Geschichte der Menschheit“ sonnenklar wurde.
Langsames Aufwachen in den letzten 25 Jahren
Seit 25 Jahren versuche ich, die größte Krise der Menschheit zu verstehen und zu einer Lösung durch Wissen beizutragen. In dieser Zeit hat sie sich von Klimawandel zu Klimanotstand radikalisiert. Wie hält man das aus & was hat das mit meinen Erkenntnissen gemacht?
Sowohl Klimapolitik als auch meine berufliche Beschäftigung damit haben harmlos begonnen. In den 1990er Jahren dachte man noch, wir haben viel Zeit (bis 2100) den „Klimawandel“ einzudämmen und das werde langsam aber sicher gut gehen, so wie immer bisher. Ich habe mich 1996-97 aus Interesse fürs Thema entschieden — und weil mir klar war, dass uns das lange beschäftigen wird. Ich erwartete eine zyklische aber doch stetig zunehmende Dynamik, aber es kam anders.
- Die 1. Dynamik kam erst 2008,
- die 2. erst 2019, beide zu schwach…
Zu abstrakt & weit weg war das Problem.
Schon Mitte 1990 fiel auf, dass erste politische Ziele verfehlt wurden. Es deutete sich an, dass das schwierig wird. Noch waren aber alle unbesorgt. Ich nicht, aber ich hätte mir damals nicht vorstellen können, wie belastend das Thema wird.
Selige 2000er: Klimaschutz kein Thema
In den 2000ern spielte Klimaschutz in der öffentlichen Debatte so gut wie keine Rolle. Auf Projektmittel angewiesen folgte ich dem Diskurs, und der trieb viele für Jahre in Richtung Nachhaltigkeit und CSR. Aus heutiger Sicht ein gesellschaftliches Ablenkungsmanöver, denn:
Noch nie in der Geschichte haben wir so un-nachhaltig gelebt als in jener Zeit, in der wir am meisten über Nachhaltigkeit diskutiert haben, mit einer Ausnahme: heute, mit noch mehr Verschmutzung als damals. Rückblickend war 1998-2007 das 1. verlorene Jahrzehnt.
Damals hat mich das nicht sonderlich besorgt. Ich dachte CSR habe Potential, konnte das Ablenkungsmanöver nicht voll durchschauen — und es war ja noch Zeit, das Klimaproblem zu lösen. Nicht 1,5C sondern 2C war das Limit, und der Spielraum dorthin noch sehr groß.
2008: Das Thema kommt zurück – Al Gore
2008 kam das Klima-Thema kraftvoll zurück, v.a. durch den Film von Al Gore und den Friedensnobelpreis für ihn und das IPCC. Schon zuvor habe ich mich dazu entschieden, nur noch zu Klimapolitik zu forschen. Ein Wechsel an die
@BOKUvienna hat das sehr erleichtert. Zudem: Irgendwann musste es ja mal losgehen mit der Ernsthaftigkeit — und 2008 sah sehr vielversprechend aus.
Dann folgte von 2009 bis 2018 das 2. verlorene Jahrzehnt in der Klimapolitik (ja, Paris ist Teil des Problems statt der Lösung). Warum weitere 10 verlorene Jahre?
Ab 2009 jagte mit Finanz-, Euro- und Migrationskrise ein akutes Problem das andere und Klima rückte mit kurzen Ausnahmen rund um die Konferenzen in Kopenhagen 2009 und Paris 2015 weit in den Hintergrund. Es gab noch kaum Impacts, dafür einen SUV-Boom inkl. Rebound-Effekt.
Das war für mich zwar zunehmend besorgniserregend, aber ich war in der Zeit auf einer befristeten Stelle v.a. mit meiner Laufbahn beschäftigt. Projekte und Publikationen standen im Vordergrund, sehr viele davon zu Anpassung statt zu Eindämmung der Klimafolgen. Während KollegInnen das Paris-Abkommen 2015 euphorisch begrüßten, wurde mir damals klar, dass das so nicht funktionieren wird und dass wir in größten Schwierigkeiten sind. Ich machte noch 1-2 Jahre weiter mit Policy-Forschung, war damit aber zunehmend frustriert weil sinnlos.
Die Wende: 2017 — wir haben ein Klima-Problem
2017/2018 wurde mir endgültig klar, dass wir ein grundsätzliches Problem hatten, das man sehr grundlegend betrachten muss. Ich wechselte den Fokus meiner Arbeit in Richtung Sozio-Psychologie der Klimapolitik und konnte damit bei meiner Masterarbeit aus 1997 anknüpfen.
Nach einem verlorenen Jahrzehnt kam 2019 die Klimabewegung erstmals richtig in Fahrt — für mich nach 24 Jahren überraschend zu spät. Dennoch: das war das positivste Jahr meiner Laufbahn weil man kurz glauben konnte, dass wir es jetzt endlich ernsthaft & schnell angehen.
Ätschibätschi – jetzt haben wir Pandemie, Emissionsanstieg, Kriegsgaskrise zu managen …
Dann kam die Pandemie, dann der Emissionsanstieg 2021, dann Krieg & Gaskrise – mit neuen fossilen Subventionen & massiven Investitionen in fossile Infrastruktur & Fossil-Lobbying. So stehen wir nun einer zunehmend brutalen Realität gegenüber.
Die 3 naivsten Dinge, die ich hier so lese:
- Der Loss&Damage Fund sei ein Durchbruch & wird jemals mehr als ein lächerliches Placebo sein.
- Das 1,5C-Limit sei noch irgendwie machbar, wenn…
- Wir könnten das Problem in der derzeitigen Situation ohne zivilen Widerstand lösen
Die hohen Preise für Fossilenergie werden Klimaschutz voranbringen, aber viele anderen Entwicklungen (u.a. Subventionen & fossil-Investitionen) werden diesen Fortschritt dämpfen. Alle Prognosen sagen derzeit: Klimakatastrophe … Während Pandemie & Gaskrise gezeigt haben, wie entschlossene und ernsthafte Krisenbekämpfung aussieht, muss man nüchtern sagen: Nichts davon haben wir auch nur annähernd in der Klimakrise jemals gesehen – obwohl das Problem enorm eskaliert, unbemerkt. Nach der erwartbar gescheiterten #COP27 & vor der erwartbar scheiternden #COP28 in einem Ölstaat belastet mich die Klimakrise wie nie zuvor, beruflich & persönlich, tagtäglich.
Es sieht gar nicht gut aus
Es sieht gar nicht gut aus, dabei wäre so viel möglich wenn das Tempo … So bin ich mir heute sehr sicher, dass meine Analyse aus 1999 mehr denn je stimmt: die dringend nötigen Lösungen werden nicht von oben von Klimakonferenzen kommen. Wirksame Klimapolitik kommt entweder durch Druck von unten oder sie kommt gar nicht bzw. viel zu spät.
Für diesen Druck gibt es v.a. 2 Möglichkeiten:
- 1) Massenbewegungen wie 2019 (Fridays for Future)
- 2) Ziviler Widerstand durch kleinere Gruppen (Ende Gelände, friedliche Sabotage usw.).
Option 1 wäre erfolgsversprechender, funktioniert aufgrund von Krisen-Müdigkeit aber gerade nicht. Also bleibt derzeit nur Option 2, leider. Nur wie der aussehen soll? (So vielleicht: Kollaps-Camps?)
Hinter meiner Unterstützung von zivilem Widerstand steckt also viel Verständnis dazu, warum die Klimakrise weiter eskaliert. Zudem gilt für mich: Ich habe nichts mehr zu verlieren, außer Zukunft (v.a. für meine Kinder). „All in“ sozusagen, fast — denn… Natürlich frage ich mich längst, ob ich mich ebenfalls an zivilem Widerstand beteiligen sollte.
Noch glaube ich, dass eine Arbeitsteilung zwischen Aktivismus & Wissenschaft sinnvoll ist, dass es mehr bringt, wenn sie von außen Rückhalt bekommen. Vielleicht ist das eine feige Ausrede. Vielleicht ändert sich das noch. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht – noch nicht, und der Aktivismus von WissenschafterInnen wie Peter Kalmus beeindrucken mich sehr.
Da stehe ich also …
So war das, sich 25 Jahre mit Klimapolitik zu beschäftigen: immer frustrierend, nicht immer so belastend wie jetzt. Das wäre auch kaum auszuhalten gewesen. Abwehrmechanismen haben ihren Sinn – wenn man sie rechtzeitig überwindet… Genau damit beschäftige ich mich aktuell.
Mehr aus seiner Literatur hierzu:
Die Klima-Dissonanz-Theorie von R. Steurer:
Die hier vorgestellte Theorie zeigt, wie wir Abwehrmechanismen eingesetzt haben, um die Klimadissonanz psychologisch und nicht physisch zu reduzieren. Sie zeigt, wie wir eine Klima-Illusion geschaffen haben, die es uns erlaubt, in Zeiten der Klimakrise eine umweltverschmutzende Wirtschaft und Lebensweise aufrechtzuerhalten, eine Dissonanz, die wir auf die eine oder andere Weise verringern müssen. Auf dieser Grundlage zeige ich auf, wie wir dennoch zu angemessenen physischen
Lösungen kommen können. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass wir uns endlich der Klimarealität stellen, die große Teile der Gesellschaft gelernt haben zu lange zu leugnen, zu verdrängen oder zu verzerren.
„Die Verweigerungskampagne war erfolgreich, weil sie unseren Wünschen und
Abwehrmechanismen. Die Ölindustrie erzählt eine Geschichte, von der wir alle wünschten, sie wäre wahr.“ Der Selbstbetrug ist also der Tumor unserer unserer gesellschaftlichen Krankheit in Zeiten der Klimakrise, und absichtliche Täuschung war ein wichtiger Erreger unter vielen. Inzwischen ist der anhaltende Erfolg der bewussten Täuschung ein Schlüsselsymptom dieser Krankheit neben anderen. Sobald wir verstehen, wie bewusste Täuschung unbewusste Selbsttäuschung anzapft, Täuschung anknüpft und wie letztere (mit oder ohne Täuschung) funktioniert, werden wir in einer weitaus besseren Position sein, um beides endlich zu überwinden. (S. 12)
Klimawandel ist also eine Glaubenskrise
„Der Klimawandel ist zuerst eine psychologische Krise, was immer er sonst auch noch ist“,31 die jedoch zu lange nicht richtig verstanden wurde, zu lange nicht richtig verstanden wurde, auch weil psychologische Erkenntnisse nicht mit sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpft wurden. Durch die Kombination einer psychodynamischen mit einer sozialwissenschaftlichen Perspektive wird die hier vorgestellte Klimadissonanztheorie
die hier und in meiner kommenden Arbeit vorgestellt wird, einen neuen Blick auf drei große Rätsel unserer Zeit. (S. 14)
Dann, so deute ich diese Hypothese, ist er auch eine Glaubenskrise, da Glaube auf der Psychologie aufsetzt, bzw. Wirklichkeit statt Verleugnung der Wahrheit ein eminent wichtiges Glaubensthema ist.
Weitere Veröffentlichungen zu allen genannten Themen:
https://boku.ac.at/wiso/infer/publikationen/publikationen
Möchtest du eine weitere Verdrängungs-These zur TRUMP-Wahl lesen, dann empfehle ich Tadzio Müller#friedliche Sabotage
Klimakommunikation ist existenziell erforderlich, nur wie ist der angemessene , zielführende Weg? So?
https://www.klimafakten.de/kommunikation/klimaschutz-total-wichtig-aber-politisch-bewegt-sich-fast-nichts-sechs-vorschlaege